Nun ist der NY Marathon schon wieder Geschichte. Die Spannung davor war sehr groß und es war mir nicht vorstellbar, dass es irgendwann soweit sein würde. Auch am Tag der Tage war die Wartezeit noch sehr lang.

Aufstehen um 4 Uhr nach einer nicht unbedingt richtig erholsamen Nacht. Ein Blick aus dem Fenster, ob der angekündigte Sturm sich bewahrheitet hat, zeigte,  ja, er war da. Es war deutlich an den Bäumen zu erkennen, welche Kraft der Wind heute vorhat zu entfalten. Und kalt war es, 3 Grad. Und zusammen mit dem Wind war ein entsprechender Windchilleffekt zu erwarten.

Naja, it is what it is. Kneifen gilt nicht. Also tapfer angezogen, die K-Frage noch diskutiert, einen schnellen Kaffee eingenommen und all die "besonderen" Riegel und Drinks eingefahren, die sicherstellen sollten, dass man gut durch das Rennen kommt.

Der Shuttle sollte uns um 5:45 Uhr zum Fort Wadsworth bringen, dem Startbereich des Marathons. Es wurden mehr als 55.000 Runner erwartet.

Ach ja und ganz wichtig, der Grund weshalb wir 6 uns das alles angetan haben, ist Stefans 50. Geburtstag, der genau auf den Marathontag fiel. Er hat es genau richtig gemacht, diesen Tag zu einem ganz besonderen werden lassen.

 

Die gruseligste Vorstellung war, da wir ja mit etlichen Tausend Leuten auf dem Startgelände für mehrere Stunden aushalten mussten, dass man keine Gelegenheit hat die wichtigsten Geschäfte zu erledigen.

Bei Ankunft am Startgelände hatten bereits viele, viele Shuttlebusse ihre menschliche Fracht ausgeladen, die sich brav in eine Warteschlange einordneten, wie schon an vielen anderen Orten, die wir im Rahmen des Marathons aufsuchen mussten.

Alles kommt zu dem der Warten kann. Dieser Spruch war das Mantra der Vorbereitung. Demzufolge waren wir alle entspannt, gelöst in Erwartung was da kommen mag.

Die WarteK-Frage wurde hier ganz besonders intensiv diskutiert. 3. Grad und Sturm und mehrere Stunden Wartezeit bieten keine Aussicht auf eine gemütliche Zeit. Sämtliche mitgebrachten Anziehsachen wurden irgendwie übergezogen. Folien und Rettungsfolien übergestülpt. Die Füsse wurden in Plastiktüten gehüllt.

 

So haben wir unser Flüchtlingslager an einem mehr oder weniger geschützten Rasenplatz eingerichtet. Unsere Isoliermaterialien ausgebreitet und versucht uns so gut es ging vor der stürmischen Kälte zu schützen.

 

Refugee Camp

 

Die 3 Männer waren für den Start ca. 1 Stunde vor uns Mädels vorgesehen. Wir verbrachten die Zeit mit Essen und Trinken beschaffen, Isoliermaterialen bewachen, uns über die Kälte zu unterhalten und zu beobachten, wie unterschiedlich sich die abertausend Irren auf die Wetterbedingungen vorbereitet hatten.

Irgendwann gab es letzte Umarmungen/Küsse und die allerbesten Wünsche mit auf den Weg und dann war unsere 1. Garnison unterwegs.

Nach Erledigung unserer PreMarathon Pflichten fanden wir Mädels uns auch in unserer entsprechenden Corral (Viehgatter, wie apart) ein. Nach einer Grundsatzdiskussion wurden wir alle drei eingelassen. Und irgendwie ging dann alles sehr schnell. Irgendeine Opernsängerin sang die Nationalhymne während derer wir uns immer mehr in Richtung Startlinie bewegten. Dann sang auch schon Frank Sinatra sein NY, NY die Startkanone wurde abgeschossen und dann waren wir unterwegs. Konni wunderte sich noch dass wir schon so früh losgeschickt wurden. Da die Zeiten mit Chip gemessen wurden, war es egal wann wir auf die Strecke gingen. Aber alles ist besser als noch weitere 30 Minuten vor sich hinzufrieren.

Es ging gleich über die Verrazano Narrow Bridge. Wie es halt bei Brücken üblich ist, erst mal HOCH. Das wussten wir ja, aber dieser starke Wind, der uns entgegen blies oder von der Seite kam, ließ uns Hören und Sehen vergehen. Es war trotzdem schön über diese besondere Brücke zu laufen, ein unbeschreibliches Erlebnis. Hier war es noch ruhig. Kaum hatten wir die Brücke hinter uns gelassen, ging das Geschrei und Gejohle auch schon los. Ein unbändiges Geschrei empfing uns von den Zuschauern an den Strassenrändern. Es war unglaublich. Ich bin kaum zu mir gekommen. Und ich war viel zu schnell. Ein Tempo was ich sonst gar nicht mehr laufe und das beim Marathon ???? Ob das gutgeht??? Ich lief schon mit Handbremse, aber durch die Läufermassen und das unbändige Publikum war eine Temporeduktion kaum zu schaffen. Konni und Patricia habe ich nach KM 4 weggeschickt, die beiden jungen Frauen sind mir einfach zu schnell.

Trotzdem kamen sie immer wieder von hinten angerannt und überholten mich mit lockeren Sprüchen. Die beiden betätigten sich noch eifrig fotographisch.

Und wie das eben so bei einem Marathon ist, der Weg ist das Ziel und mit jedem getanen Schritt kam das Ziel näher. Erst noch unvorstellbar die 42,195 km laufend bewältigen zu können, schwangen die Gefühle zwischen Gewissheit und Ungewissheit. Meine längste Trainingsdistanz war 31km , das war noch überschaubar, auch wenn der Weg bis zu dieser KM Zahl auch nicht so ohne ist. Dummerweise hatte ich zwei meiner so dringend benötigten Gels gleich kurz nach dem Start verloren.

Bei Km 25 ging es die Queensborough Bridge hoch. Ich dachte ich falle vom Glauben ab. Die war ja schlechter zu laufen als die Verrazano Bridge. Der Weg hinauf war ungeheuer beschwerlich, viele hatten bereits in den Gehmodus gewechselt. Ich nicht. Die Brücke schien mir unendlich lang, eine Steigung die extrem zäh zu laufen war. Danach war ich erst mal erschöpft. Bei km 27 gingen mir die Lichter aus. Ich hatte zwar bei jeder Verpflegungsstation Gatorade getrunken, aber ein Gel sollte eigentlich mehr Energie in den angstrengten Körper zurückbringen. Da geriet ich schon ein wenig in Panik. Ich wußte ohne weitere Energiezufuhr ist ein Durchlaufen unmöglich. Was ein Sch ... dabei war ich hochmotiviert.

Irgendwann sah ich einen Mann am Straßenrand stehen, der Kekse für die Läufer bereithielt. Eine kleine Rettung. Ich genoss den Keks und er brachte zumindest ein wenig die mentale Energie zurück. Bei Meile 18 wurden von Powerbar EnergieGels verteilt, ich nahm mir gleich zwei. Eigentlich finde ich die Dinger eklig, und sie schmeckten auch so. Ich hatte aber keine Wahl, entweder Gel oder Hungerast. Also rein mit den Dingern. Die brachten mich tatsächlich über den Berg. Und ich lief immer noch. Hin und wieder habe ich mein Getränk an den Verpflegungsstellen im Gehen eingenommen, aber es war kein langer Aufenthalt.

Und so ließ ich Kilometer um Kilometer hinter mir. Und ich lief immer noch. Das erfüllte ich schon ein klein wenig mit Stolz, die alte Marathoni kam hier zum Vorschein, der alte Ehrgeiz, das Jagdfieber. Es ging mir nicht um die Konkurrenz, nur um ein gutes Durchlaufen. Dabei kontrollierte ich regelmäßig meinen Puls, über 160 wollte ich soweit entfernt vom Ziel nicht kommen. So habe ich meine Körner gut eingeteilt. Und es ging weiter hoch und runter, NY ist nicht flach. NY ist nix für Feiglinge, für Flachläufer, für Warmduscher.

Ich freute mich schon auf das Gesicht und das Lob von Stefan.

Irgendwo mussten doch auch Petra und ihre Schwester stehen, es ist schon was Besonderes beim Lauf durch NY persönlichen Motivationssupport erwarten zu können. Aber die Zuschauermenge war so groß, jemanden auf die Schnelle zu erkennen, war fast unmöglich.

Schon vor dem Central Park konnte ich mich nicht mehr zusammenreissen, ich habe es richtig krachen lassen und jede Menge laufende und gehende Läufer überholt. Das war cool, das hat Spass gemacht. Und ich wußte dass ich unter 5 Stunden ins Ziel komme. Die Beine mussten noch mal richtig ran. Im Jahr 1998 hatte ich den Zieleinlauf einfach verpennt, habe ihn gar nicht richtig erfasst. Das sollte mir dieses Mal nicht passieren. Dieses Mal bin ich mit hoch gerissenen Armen jubelnd ins Ziel gelaufen. Ich war sehr froh, dass alles gut gegangen war. Ich fühlte mich ein wenig an meine alten Marathonizeiten erinnert. Es war mein 35. Marathon den ich gefinisht habe. Eine Finisherbilanz von 100%.

 

Lisa jubelt

 

Die Begeisterung der Zuschauer während des gesamten Laufes war grenzenlos. Einfach sagenhaft. In diesen Dimensionen habe ich das noch nie erlebt.

Vor einem Jahr konnte ich mir nicht vorstellen, nochmal in meinem Leben einen Marathon zu laufen. Es war mir auch zu anstrengend. Aber im Laufe der Vorreisezeit bin ich mehr und mehr in den Gedanken hineingewachsen, es vielleicht noch mal zu probieren.

Im Ziel angekommen (nach 4:50:43 Std.) ging es auch sehr schnell zum Kleiderwagen. Von wegen 90 Minuten Geh- und Wartezeit. Ich habe nicht länger als 10 min benötigt um meinen Kleiderbeutel zu bekommen. Schnell am Wegesrand die nasse Kleidung gegen trockene ausgetauscht und dann gings zum Treffpunkt mit meinen 5 Mitstreitern inkl. dem Geburtstagskind.

Wir sind alle glücklich mit unseren Ergebnissen, an erster Stelle

- Konni unser Sorgenkind, die sich 6 Monate vor dem Start einen Bänderriss zugezogen hatte, kurze Zeit später nochmal einen draufgelegt hat (ist doch tatsächlich nochmal unglücklich umgeknickt) und der Start dadurch fraglich wurde. Sie hat mit Ehrgeiz und Biss das verpasste Training nach bzw. aufgeholt und die 42 km eisern durchgehalten. Konni: 4:53:53 (irgendwie auch eine Schnapszahl)

- Patricia unser 2. Sorgenkind, die immer Wade hatte und nicht mehr als 10 km im Training durchlaufen konnte. Auch sie hat sich durch das Training und den Lauf gebissen. Patricia 5:00:48

- Frank, der eigentlich NY nie laufen wollte und immer wieder Probleme mit seinen Füssen hatte, und auch mit der Achillessehne. Ich glaube am Ende hat er sich auch auf den Lauf gefreut und ist nun stolz. Frank: 4:44:49 Std.

- Ralf unser Blutdruckkandidat, der NY noch auf seiner Rechnung hatte und unbedingt dabei sein wollte. Der es im Training hat richtig krachen lassen und super fit an den Start gegangen ist. Ralf: 4:44:50 Std

- Stefan unser Newbie 50. Der massiv mit Achillessehnenproblemen zu kämpfen hatte und auch mit der Motivation. Nach dem Ironman war ihm erst mal die Trainingslust vergangen. Der trotzdem sein Training noch massiv gesteigert hat um einen schönen Lauf zu haben. Der den von Frank gestifteten Geburtstagshut während des gesamten Laufes tragen musste. Aber dadurch jede Menge Glückwünsche/ Congratulations eingeheimst hat. Stefan: 4:44:48 Std. (knapp an der Schnapszahl vorbei).

 

Geschafft

So hat jeder von uns einen ganz persönlichen Grund mit dem Ergebnis äußerst zufrieden zu sein.

Und zum Abschluss des Tages gab es dann noch unser 20:00 Uhr Bier J.

 

Beim Finisherbier

 

Und am nächsten Tag haben wir uns müde auf dem Weg nach New Orleans gemacht.

Urlaub Teil 2 konnte beginnen. Wie sehr habe ich diesen Tag herbeigesehnt.